Als Anna noch ein Kind war, haben ihre Eltern fast jeden Tag Hunde und Katzen erschlagen. Alle, die sie kannte, haben das gemacht. Auch ihre Großeltern, Klassenkameraden, und Lehrpersonen. Jeden Tag, oder fast jeden Tag. Manche glaubten, dass sie davon groß und stark werden, manchen machte es viel Spaß, andere fanden es vor allem besonders männlich. Aber fast alle waren der Ansicht, es gehöre eben einfach zum Leben dazu. In den Gärten, auf den Straßen und auf den Wiesen hat man ständig Menschen gesehen, die Hunde und Katzen erschlagen. Sie kauften sich auch Hunde und Katzen, die extra dafür gezüchtet wurden, dass die Leute sie erschlagen können. Das galt einfach als normal. Und so hat Anna es selbst auch getan. "Geht mal raus spielen, und erschlagt ein paar Katzen, die Bewegung tut euch gut.", haben sie zu ihr und ihrem Bruder gesagt, und die beiden haben ihnen geglaubt. Warum auch nicht, es hat ja jeder so gemacht. Die Tiere hatten ja auch ein schönes Leben, bevor sie sie erschlagen hat, denkt Anna.
Als sie älter wird, begegnet sie auf einmal jemandem, der keine Hunde und Katzen erschlägt. Schon seit Jahren nicht mehr, erzählt er ihr. Sie wundert sich, wie das denn gesund sein kann. Wie trainiert er denn seine Armmuskulatur? Er ist bestimmt schon sehr schwach. Aber er zeigt ihr Objekte, die er "Hanteln" nennt, und behauptet, damit könne er mindestens genauso gut trainieren. Er fühle sich gesund, sagt er, und es ginge ihm besser, seit er keine Tiere mehr tötet. Anna findet das ziemlich extrem. Ihr würde etwas fehlen, wenn sie keine Hunde und Katzen erschlagen würde.
Aber sie merkt, dass es immer mehr von diesen Leuten gibt. Manche machen Werbung für diesen Lebensstil, und sagen, es wäre brutal, Hunde und Katzen zu erschlagen. Sie sagen, Hunde und Katzen seien fühlende Wesen und wollten leben. Sie sagen, alle sollten stattdessen mit Hanteln oder anderen Gegenständen dafür sorgen, dass sie sich ausreichend bewegen, oder indem sie z.B. Fahrrad fahren, im Garten arbeiten oder viel zu Fuß gehen. Das findet Anna ziemlich nervig. Sie hat ja nichts dagegen, dass diese Leute es anders machen. Aber sie sollen doch niemanden ihre Art zu trainieren aufzwingen. Jede*r soll so trainieren, wie er oder sie will, findet Anna. Und wenn man nicht mehr jeden Tag Hunde und Katzen erschlägt, muss man doch bestimmt sehr gut auf seine Gesundheit achten, damit man trotzdem noch genug Bewegung bekommt. So ein Training sollte man doch nicht propagieren, und bestimmt ist es sowieso nur ein Trend, der wieder vorbeigeht. Die Leute sollen doch lieber so trainieren, wie sie es früher auch gemacht haben: mit Knüppeln, Äxten und Hunden und Katzen.
Die anderen verstehen nicht, warum Anna von ihnen genervt ist. Es sei doch unnötiges Leid, das den Tieren angetan wird, und deshalb sollte man damit aufhören. Außerdem sei es doch eine schöne Nachricht, dass man keine Tiere töten muss, um sich ausreichend und abwechslungsreich zu bewegen, und deshalb wäre es doch gut, sie zu verbreiten, meinen sie.
Was meint ihr? Würdet ihr an Annas Stelle den Leuten zuhören wollen, die aufgehört haben, Hunde und Katzen zu erschlagen? Würdet ihr, auch unabhängig von diesen Leuten, die Trainingsmethoden eurer Gesellschaft hinterfragen? Findet ihr, Anna sollte auch aufhören, Hunde und Katzen zu erschlagen?
Wir leben zum Glück nicht in solch einer Welt, in der wir von Klein auf lernen, dass man Hunde und Katzen erschlägt, um gesund und fit zu bleiben. In unserer Gesellschaft würde niemand auf die Idee kommen, das zu tun, um seinen Körper zu trainieren, weil wir alle wissen, dass es dafür überhaupt nicht nötig ist, und weil wir außerdem eigentlich auch keinen Tieren schaden wollen. Wir leben in einer anderen Gesellschaft als die Menschen in der Geschichte. Aber ist unsere Gesellschaft weniger brutal? Lest den Text doch nochmal, und
ersetzt "Hunde und Katzen" durch "Rinder, Schweine, Hühner etc.",
ersetzt "erschlagen" durch "dafür bezahlen, dass sie eingesperrt, verstümmelt und geschlachtet werden",
ersetzt "Bewegung/Muskulatur trainieren" durch "Nährstoffe zu sich nehmen",
und "Hanteln etc." durch "rein pflanzliches Essen".
Tatsächlich leben wir in einer Gesellschaft und in einer Zeit, in der man wissenschaftlich nachweisen kann, was für Nährstoffe unsere Körper brauchen, und in der wir all diese Nährstoffe normalerweise gut zu uns nehmen können, ohne dafür Tiere zu essen oder z.B. zu melken. So wie wir uns gesund bewegen können, ohne Hunde zu erschlagen, können wir uns auch gesund ernähren, ohne Rinder, Schweine, Kaninchen, Hühner oder andere Tiere zu schlachten. Dennoch bringt unsere Gesellschaft uns bei, und erlaubt es unsere Politik, dass wir es normal und okay finden, Tiere bestimmter Spezies zu schlachten, und vorher oft auch zu misshandeln, in enge Käfige zu sperren, betäubungslos zu kastrieren oder zu verstümmeln und von ihren neugeborenen Kindern zu trennen, um sie zu konsumieren. Obwohl wir es nicht brauchen und obwohl die Tiere darunter leiden.
Ist das nicht bemerkenswert? Ist das nicht etwas, worüber man sich wenigstens mal wundern sollte? Denn nicht nur haben diese Tiere eigene Interessen, möchten frei sein und leben, und leiden darunter, was wir mit ihnen machen. Sondern auch wir Menschen haben doch eigentlich meistens Mitgefühl mit Tieren, und möchten nicht, dass sie leiden.
Die Sozialpsychologin Melanie Joy hat sich mit diesem Thema befasst. Ihr zufolge hängt das alles mit einem Meinungssystem zusammen, in dem wir aufwachsen und das tief in uns verwurzelt ist. Ein System, das uns von unserem natürlichen Mitgefühl mit Tieren abtrennt.
Hunde und Katzen zu erschlagen, um unsere Muskeln zu trainieren, kommt uns ziemlich absurd, brutal und unnötig vor, und wenn uns jemand beigebracht hätte, dass man das tun muss, wären wir vielleicht froh, irgendwann zu sehen, dass man es in Wirklichkeit eben nicht muss. Aber was ist, wenn das Ausbeuten und Schlachten von Rindern, Schweinen, Hühnern, Fischen etc. eigentlich genauso brutal ist, und unnötig ist, um sich gesund und lecker zu ernähren? Sind wir dann auch froh, eine Lebensweise ohne das kennenzulernen? Wie sollten wir damit umgehen, dass wir in dieser Gesellschaft leben, in der fast jede*r diese Gewalt gegen Rinder, Schweine und andere Tiere normal findet und unterstützt?
Wenn ihr euch nicht von mir manipulieren lassen wollt, dann könnt ihr hier aufhören, zu lesen und euch selbst eine Meinung bilden.
Aber meine Gedanken dazu sind (und es sind nur Gedanken, keine Befehle oder so):
Wenn ihr Mitgefühl habt, dann hört darauf. Generell ist Mitgefühl nicht falsch. Nur selektives Mitgefühl ist es vielleicht. (Bzw., ich denke, an selektivem Mitgefühl ist nicht das Mitgefühl, sondern das Selektieren falsch.) Doch wenn man aufhört, zwischen "liebenswerten Haustieren" und "Nutztieren" zu unterschieden, dann ist das ein Schritt weg vom selektiven Mitgefühl und hin zu einem Mitgefühl mit allen, die fühlen. Wenn es "extrem" ist, nicht mehr für unnötige Tierquälerei zu bezahlen, dann traut euch, "extrem" zu sein! "Extrem" bedeutet nur "anders als die meisten". Wenn die meisten unnötige Gewalt und unnötiges Töten von Tieren, die leben wollen, ganz normal finden, dann seid ruhig "unnormal". Natürlich kann ich verstehen und habe es auch erlebt, dass es schwer ist, etwas abzulegen, an das man von Klein auf durch die Gesellschaft gewöhnt ist. Doch ihr legt nicht nur eine Gewohnheit ab, sondern ihr reaktiviert auch etwas, was zu euch gehört: euer Mitgefühl mit den betroffenen Tieren.
Wenn dieses Mitgefühl in eurer Gesellschaft unnormal zu sein scheint, aber unnötige Gewalt ganz normal ist, dann ist es vielleicht besser, nicht so sein wie die Gesellschaft.
Seid anders! Nur so könnt ihr die Gesellschaft ändern und mitfühlender machen, denn ihr seid ein Teil der Gesellschaft. Wie die Gesellschaft ist und sich weiterentwickelt, kann auch an euch liegen. Es gab und gibt Gesellschaften, in denen es als normal betrachtet wird oder wurde, manche Menschen zu versklaven, weil sie eine andere Hautfarbe haben. Oder Gesellschaften, in denen manche Menschen weniger Rechte bekamen, weil sie Frauen waren. Oder Gesellschaften, in denen es normal war, Kinder zu schlagen. Dinge, die wir aus heutiger oder hiesiger Sicht für ungerecht oder für unnötige Gewalt halten. Auch in diesen Gesellschaften gab es Menschen, die dachten: nur weil etwas von allen gemacht wird, muss es nicht richtig sein. Menschen, die aus Mitgefühl anders gehandelt haben, als der Rest der Gesellschaft. Und die sich dafür eingesetzt haben, dass die Gesellschaft und ihre Standards sich ändern, und dass es immer weniger Ungerechtigkeit und unnötige Gewalt gibt. Seid auch ihr die Veränderung, die ihr euch wünscht! Seid das Mitgefühl, die Rücksicht, die Freundlichkeit, die Liebe, von der die diese Welt mehr gebrauchen könnte, und die ihr auf dieser Welt vermisst!
Fotos:
Vegallina
weanimals.org (bearbeitet von Vegallina)
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