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AutorenbildVegallina

Die Erfolge der anderen

Aktualisiert: 13. Feb. 2021

Vielleicht kennt ihr das ja: Ihr seht z.B. ein Youtube-Video oder einen Blogbeitrag von jemand anderes, dessen Botschaft ihr total zustimmen würdet, und diese Person ist dann auch noch richtig beliebt dafür. Oder ihr seht jemanden, der es schafft, vollkommen ohne Plastik oder ohne Auto zu leben, was ihr eigentlich auch gerne machen würdet. Ihr bewundert das, was diese Person tut, und findet eigentlich, es verdient euer Lob und eure Unterstützung. Und obwohl ihr es so gut findet, und es auch richtig findet, dass die Person dafür von anderen Menschen Anerkennung bekommt, schleicht sich bei euch selbst neben den ganzen Freuden auch irgendwie ein unangenehmes Gefühl ein. Ein Gefühl, das fragt: warum schafft diese Person das, und ich nicht? Warum gelingt es ihr, ihren Alltag so nachhaltig zu gestalten, und mir nicht, obwohl ich mir doch schon Mühe gebe? Warum werden ihre Beiträge so oft geliked, geteilt und angesehen, und meine Beiträge zum selben Thema nicht? Bin ich nicht gut genug, oder nicht interessant genug? Sollte ich vielleicht aufgeben, weil ich sowieso so wenig bedeutend bin im Vergleicht zu anderen, oder weil ich sowieso nicht so "gut" werden kann?

Ich glaube, ich habe dieses Gefühl manchmal. Ich will es nicht haben. Ich will mir keinen Blog über Nachhaltigkeit, Tierschutz o.ä. mit diesem Gefühl ansehen. Nein, ich will mich über jede weitere Person freuen, die ihre Ideen darüber, wie wir diese Welt ein bisschen besser machen können, mit uns teilt. Denn es ist erfreulich. Eigentlich ist es einfach nur erfreulich. Ich will auch nicht, dass irgendjemand mit so einem Gefühl meine Webseite anschaut, falls sie denn irgendwann mal gut und beliebt werden sollte, und es in diesem Sinne einen Anlass dazu gibt.


Trotzdem ist es manchmal schwer, dieses Gefühl abzustellen. Jemand anderes macht etwas Gutes, was wir selbst nicht machen. Das ist manchmal schwer zu ertragen. Manchmal sehen wir vielleicht sogar gerne, wie die Person daran scheitert. Videos, in denen Leute erzählen, warum sie nicht mehr vegan sind, werden beispielsweise oft angeschaut. Ich denke, zum Teil oder bis zu einem gewissen Grad ist dieser Wunsch von uns vielleicht etwas Normales und auch nicht unbedingt schädlich. Viele von uns kennen Alltagssituationen, in denen man z.B. in einer Gruppe zusammensitzt und auf einmal irgendetwas aufkommt, z.B. ein Fremdwort oder die Frage "Habt ihr euch schon alle in die-und-die Liste eingetragen?", oder irgendetwas dergleichen. Viele von uns kennen diese kleine Freude darüber, wenn wir bemerken, dass wir zumindest nicht die einzige Person in der Gruppe sind, die das neue Fremdwort nicht kennt oder die sich noch nicht eingetragen hat. Manchmal fühlen wir uns besser, wenn wir sehen, dass anderen irgendetwas genauso wenig gelingt wie uns selbst.


Ich denke, wirklich problematisch wird das unangenehme Gefühl beim Erfolg anderer mindestens dann, wenn einen sehr deprimiert, das Selbstbewusstsein schwächt, oder es der Auslöser für Angriffe oder Streit ist. Wenn wir sehen, wie gut andere in irgendetwas sind, fühlen wir uns selbst manchmal weniger gut. Das ist unangenehm und dieses Gefühl wollen wir loswerden. Weil wir es manchmal schwer ertragen können, wie erfolgreich andere darin zu sein scheinen, die Welt zu verbessern, versuchen wir, zu wiederlegen, dass es der Person wirklich so gut gelingt, wie es scheint. Manchmal wünschen wir uns, herauszufinden, dass die Person in Wirklichkeit viel falsch macht oder am Ende doch viel Schaden anrichtet, oder dass sie in Wirklichkeit nur vorgibt, der Welt zu helfen, oder dass sie irgendwann an ihren Versuchen scheitert. Damit sie eben nicht mehr "besser" oder "erfolgreicher" ist als wir selbst. Noch stärkeren Druck empfinden wir, wenn wir auch noch glauben, die erfolgreiche Person würde auf uns selbst herabschauen. Dann kommen bei uns auch erst recht Abwehrreaktionen in Gange. Das Lachen von manchem Menschen über Vegetarier*innen sei zum Beispiel so eine Abwehrreaktion, sagen Julia Minson von der Universität Pennsylvania und Benoît Monin von der Universität Stanford (Social Psychological and Personality Science, Bd. 3, S. 200, 2012). Fleischesser*innen hätten oft das Gefühl, dass Vegetarier*innen sie moralisch verurteilten, meinen sie. Sie fühlten sich deshalb zu schlechten Menschen degradiert. Und Attacken auf ihr positives Selbstbild würden Menschen abwehren, indem sie ihre Angreifer*innen lächerlich machen. Diese Abwehrreaktionen der Fleisch-essenden könnten sogar dann schon ausgelöst werden, wenn ein fleischlos essender Mensch nur präsent ist und nichts sagt. (1)


Das Schlimme bei all dem ist also nicht nur, dass manche Menschen sich durch die Erfolge anderer schlecht fühlen. Hinzu kommt, dass ihre Abwehrreaktionen, die eigentlich dazu dienen sollen, ihr eigenes Gewissen zu beruhigen, den "erfolgreichen Leuten", und damit ihren weltverbessernden Projekten, schaden können. Veganer*innen, Ökos, "Gutmenschen" usw. werden als dumm dargestellt, lächerlich gemacht, oder als fanatisch, radikal oder missionarisch bezeichnet, auch in Situationen, in denen sie niemanden angegriffen, beleidigt oder kritisiert haben, sondern einfach nur über ein Thema informiert haben, oder in denen sie sogar einfach nur anwesend sind und die anderen von ihrer Gesinnung erfuhren.

Das schüchtert ein und verunsichert. Ich denke, normal und richtig wäre es, genau dann kritisiert zu werden, wenn man wirklich etwas tut, was jemandem schadet, oder was leicht hätte schaden können. Aber immer öfter scheint es mir, als würden manche Leute auch einfach kritisiert, wenn sie niemandem schaden, sondern im Gegenteil, weil sie die Welt verbessern wollten. Vielleicht, wie gesagt, weil es den Kritiker*innen schwer fällt, andere engagiert und erfolgreich zu sehen. Wenn man wie jemand auftritt, der etwas Altruistisches, Gutes tut, suchen die Leute oft nach Fehlern. Veganismus sei ja auch schlecht für die Umwelt, wenn man jeden Tag Avocados isst, heißt es zum Beispiel, und die Plakate, die man auf Demos mitnimmt, würden ja auch Ressourcen verbrauchen. Nicht nur werden Fehler an den "guten Taten" selbst gesucht. Sondern sobald man etwas "Gutes" macht, wird auf einmal alles, was man nicht so "gut" macht, scheinbar viel schlimmer. Geht man für eine Sache auf die Straße, wird man plötzlich dafür kritisiert, dass man nicht auch für eine andere Sache auf die Straße geht. Wenn man z.B. ein Smartphone benutzt, wird das normalerweise selten schlecht gefunden. Benutzt man es aber auf einer Klima-Demo, kann es vorkommen, dass jemand sich darüber auslässt, wie umweltschädlich das Smartphone ist, und wie heuchlerisch es sei, obwohl man es benutzt auf eine Klima-Demo zu gehen. Oder denkt an Greta Thunberg. Über 30 Stunden fuhr sie zum Weltwirtschaftsforum nach Davos, mit der Bahn, um Treibhausgase zu sparen. Unterwegs veröffentlichte sie ein Bild auf Twitter, dieses zeigte Getränke in wiederverwendbaren Edelstahl-Flaschen und veganes Essen – verpackt in Plastik. Und gleich kamen die kritischen Kommentare: sie sei unvorbildlich, würde mit Bergen von Plastikmüll reisen und alle verarschen. Dabei wird die Plastikverpackung dadurch nicht schlechter, dass ihre Besitzerin auch noch fürs Klima demonstriert. Wäre sie keine Klimaaktivistin, hätte sie wahrscheinlich ein Bild posten können, auf dem sie im Flugzeug auf ihrem Weg in den Urlaub ein Fleischgericht aus eine Alu-Verpackung isst, und wäre viel weniger kritisiert und angegriffen worden.

Ich kenne wirklich nicht die Beweggründe aller Kritiker*innen, aber ich könnte mir gut vorstellen, dass Angriffe und Kritik oft unter andrem darin begründet sind, dass man es einfach schwer manchmal ertragen kann, wenn jemand anderes etwas Gutes tut oder etwas erreicht, was man selbst gern geschafft hätte. Dieser Neid hat auch etwas Positives. Wer aus Neid jemanden für "gute Taten" kritisiert, hätte selbst gerne diese "gute Tat" vollbracht. Das ist ein guter Wunsch. Man hätte selbst gerne die Welt verbessert. Das ist an sich schön und lobenswert. Ich denke, wir sollten nur anders damit umgehen, wenn jemand uns zuvor gekommen ist. Dazu vielleicht ein paar Strategien:


1. Wenn ihr andere "erfolgreiche Personen" seht, denkt kurz an das, was ihr selbst schon alles geschafft habt. Es mag aus einem ganz anderen Bereich kommen. Vielleicht habt ihr noch kein inspirierendes Youtube-Video gedreht, aber schonmal einem Tier das Leben gerettet, euch unermüdlich eingesetzt für Gerechtigkeit in eurer Schulklasse, ehrenamtlich irgendwo gearbeitet, oder auf irgendeine andere Weise etwas Besonderes gemacht, das die Welt ein bisschen verbessert hat. Vielleicht kann die "erfolgreiche Person" auch nicht so viel damit anfangen, was ihr gemacht habt, weil sie den Einsatzbereich und seine Bedeutsamkeit nicht so gut kennt. Aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass ihr es getan habt und dass es wirklich einen gutes Effekt hatte. Macht euch klar, dass ihr jemandem geholfen habt und sein oder ihr Leben verbessert habt!

2. Denkt daran, dass die "erfolgreiche Person" euch vielleicht gar nicht als weniger erfolgreich einschätzt, als sich selbst. Vielleicht bewundert sie euch auch, für irgendetwas, was sie nicht hat, und was euch selbst vielleicht gar nicht so besonders vorkommt. Oder vielleicht vergleicht sie sich auch gar nicht mit euch, denn es gibt viele Einsatzbereiche, wo man Gutes tun kann, und wahrscheinlich überblickt sie nicht alles, was ihr tut.

3. Seid froh darüber, was die "erfolgreiche Person" macht. Ja, der ganze Artikel ging darüber, dass das schwer fällt. Aber trotzdem ist es vielleicht einen Versuch wert. Denn am Ende geht es doch nicht darum, wer die Welt am meisten verbessert hat. Sondern es geht darum, dass die Welt besser geworden ist. Oder? Und immer, wenn jemand erfolgreich dazu beiträgt, ist das doch eigentlich ein Grund zur Freude. Außerdem haben wir alle verschiedene Fähigkeiten, Talente und Erfahrungen. Ich glaube, für uns alle gibt es irgendeinen Einsatzbereich, für den wir selbst besser geeignet sind, als die meisten anderen. Wir müssen uns nicht mit jemandem vergleichen, der anders ist und andere Fähigkeiten hat. Wir können ebenso erfolgreich werden und die Welt verbessern, aber mit unseren eigenen Fähigkeiten und in unserem eigenen Einsatzbereich. Den müssen wir nur finden.


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